Allgemein Feierei Musik

(M)eine Cottbuser Rap-Geschichte

7. November 2016 |
record-release-kelle-pinc-c-alex-schirmer-10

Keine Ahnung, was mich in letzter Zeit immer öfter in die Arme des deutschen Raps gezogen hat. HipHop spielte in meiner Plattensammlung bisher nur in Form von Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“ eine Rolle. Ich kann keine Gangzeichen, bin nicht cool und habe in Baggypants schon immer scheiße ausgesehen. Mein Fachwissen erschöpfte sich auf Blumentopf und Dendemann. Heimlich habe ich K.I.Z. gehört („Ich finde das einfach nicht lustig.“ – Frau Pop). Rap hat sich dann eher eingeschlichen. Ein bisschen Zugezogen Maskulin hier, ein wenig Käptn Peng dort. Als ich dann vor ein paar Wochen das Album Kleiner Spaß am Rande der Erdkrümmung der Cottbuser Band Aktiv Passiv gekauft habe, stand Rap plötzlich vor mir. Unter anderem in persona meiner Freundin Sabrina, die sich als wahres Lexikon des Deutschrap herausstellte. Die studierte Kunsthistorikerin zeigte mir den ewig meckernden Audio88 (übrigens ein Cottbuser Jung´, der mit seinem Kompadre Yasiin gerade Berlin belehrt), spielte mir Schwester Ewa vor und schickte mir Links zu Haftbefehls und Xatars „Coup“. Wir hörten die 187 Strassenbande… wow. 
Ich weiß nicht, was ich daran finde, wenn ein zugehackter Proll aus Hamburg über seinen Mercedes rappt („Ich zähle unsern Umsatz in mein´ CL 500“ – Gzuz). Er erweckt einfach den Anschein von Authentizität, denke ich.
Über das 30-11-80-Video von Sido entdeckte ich Motrip („David gegen Goliath“ – geile Eröffnung für ein Album) und, dass deutscher Rap gerade auf einem ziemlich hohen, intellektuellen Niveau ist. Und immer war. Ich kramte altes Zeug von Afrob, Doppelkopf und Teefla und Jaleel raus und begab mich in die düstere Welt von Nazar. Hörte auch die Mainstreamer wie Die Orsons, Marsimoto, Beginner und die Antilopen Gang. Und ich habe nicht mal am Lack der G-Klasse in Wüstentarn („jeder will mal Panzer fahr´n!“) gekratzt. Ich bin begeistert. Da eröffnet sich mir gerade eine völlig neue musikalische Welt.

Und jetzt stehe ich im Cottbuser Club Chekov und ziehe mir ein paar sicke Lines von Mr. Pinc rein… Yo.
Mr. Pinc oder Pinchas (das ist sein tatsächlicher Vorname) steht beschwörend auf der niedrigen Bühne und lässt wahre Wortkaskaden, ganze Wort-Fälle auf sein Publikum niedergehen. Er trägt so schnell vor, dass seine Sätze kaum zu verstehen sind. Seine Mine verzieht sich ständig und Adern treten an den Schläfen hervor. Manche seiner Texte haben keine Hook, keinen Refrain. Die mussten einfach noch mehr Versen Platz machen, hätten nur gestört.

„Lass uns die Uhren zerschlagen und sie im Jenseits begraben
Zeit ist der Wind auf den Mühlen, die das Leben zermahlen
der ewige Atem, dem wir Bedeutung entnehmen
eh unsre Lehren und Taten samt jedem Zeugnis verwehen“

Ich kann nicht folgen, werfe mich aber trotzdem Hals über Kopf in die Musik. Pincas entwirft Welten, die man auch sieht, wenn man nur die Hälfte versteht. Dabei hilft ihm Kelle, der die Instrumentals live hinter ihm zusammenmischt. Herrgott, was für Beats! Ich kenne sein experimentelles Zeug, sicher. Da bin ich aber zu sehr Pop, um das zu verstehen. Hier und heute hebt Kelle alle und das Dach an. Ich kann Musik leider nicht so schön beschrieben und möchte Phrasen wie „wummernde Bässe“ und „staubtrockene Kicks“ vermeiden, deshalb hört Euch das an, sobald ihr die Gelegenheit habt!* 
Der Abend heute ist ein Dreifach-Record-Release-Abend. Mr. Pinc bringt sein Album Im Zwiespalt heraus und Kelle releast gleich zwei Alben: Eines mit weiteren vier Cottbuser Rappern und eines mit Songs, die er noch auf der Festplatte hatte (Eigentlich sind es sogar zweieinhalb Kelle-Alben, er hat schließlich auch einen Großteil der Instrumentals für Mr. Pinc´s Album entworfen). Die Gastrapper entern die Bühne um zu den raumfüllenden Bässen (verdammt!) von Kelle zu performen. Da ist Shimstrumental, der zu einem lauten Industrial-Track rappt, grunzt und schreit.

Da ist Stefan Göbel, den ich bisher als Filmemacher kannte. Er rappt als hätte er Wut und Spaß zusammen. Und er macht das verdammt gut- mir tut schon der Nacken weh. Zum Finale springt der ganze Saal und alle lassen den Produzenten der drei Alben hochleben: MonstaPat, ein alter Freund und musikalisches Wunderkind, hat mir kurz am Rande von schlaflosen Nächten erzählt. Ich habe ihm zu seiner tollen Arbeit gratuliert. Immerhin hat der Mann ebenfalls das eingangs erwähnte Aktiv Passiv-Album produziert und das hat mir ja erst vor Kurzem gezeigt, dass in Cotte mit Rap richtig was geht. Ich dachte, die Zeiten sind seit Jiggy East vorbei.

*Kelles Album ist leider noch nicht käuflich zu erwerben und auch nicht online, soweit ich weiß. Da gabs ein paar Lieferschwierigkeiten. Gäste konnten sich in eine Liste eintragen und bekommen das Album von Kelle persönlich nach Hause geliefert. Das ist Cottbus, Bitch!