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Vinyl-Exkursion nach Offenbach

5. Dezember 2016 |
Alek S & Matt Star

„Matt hat mich nach Offenbach eingeladen, kommste mit?“ fragte mich Alex letztens. Ich kenne keinen Matt und Offenbach auch nur aus einigen Zeilen von Haftbefehl. Der kommt da nämlich her. Also habe ich zugesagt. Man kommt ja so schon selten genug aus Cottbus raus.

Alex, Künstlername: Alek S. ist ein langjähriger Freund von mir, legt schon seit annähernd 17 Jahren Techno und House auf und bringt seit Kurzem eine Platte nach der anderen raus. ´s läuft bei ihm. Jetzt sind wir also auf dem Weg nach Offenbach bei Frankfurt weil Matt Star Alex zum Auflegen eingeladen hat. Matt ist nicht nur der Chef des renommierten Labels Star Dub. Er ist/war ausserdem ein sehr erfolgreicher DJ, produzierte ein paar erfolgreiche Clubhits und pflegte den Jetset zwischen Ibiza und Japan. Bis er einsah, dass diese Welt ihn zermürbt und er die Bremse zog.
Ausserdem kann er sich der Bewunderung von Alex sicher sein, der bereits viele Platten von ihm im Regal zu stehen hat. Gerade kommt noch die Meldung von Alex´ Freundin rein, dass seine letzte Veröffentlichung „Paradise Lost“ bei Radio Fritz gespielt wurde. Ein kleiner Ritterschlag aus der Heimat. Ein kurzer Jubel zwischen den Junkies am Frankfurter Bahnhof.

Matt Star (eigentlich Matthias, Mitte 20, etwas müde aber gut gelaunt) holt uns von einer Offenbacher Haltestelle ab und führt uns in sein kleines, verqualmtes Kellerstudio. Hier stoßen wir auf Modularsynthesizer, Plattenregale, Starwars-Figuren und Candy, einem leicht verpeilten magdeburger Dude, der sich an blinkenden Knöpfen und einer plätschernden House-Nummer versucht. Es rollt und pluckert durch den Raum. Mit der ersten Zigarette werden wir alle schnell zu Freunden.
Hier beginnen Alex und Matt in einer Sprache zu reden, die entfernt an Deutsch erinnert. „Ist das nicht diese Lowtec 10inch von 2008? Die gibts auch bei Discogs nicht mehr.“ „Hier! Das ist rumänischer Micro-House von Vid und Raresch. Kam gerade auf Abartig raus und ist bei Decks überall auf eins.“ Für mich klingt das wie die Lehrerin bei den Peanuts und so wird es das ganze Wochenende weitergehen. Waren Sie schon mal dabei, wenn zwei Fotografen anfangen sich über Belichtungszeiten, Objektive und ISO-Werte zu unterhalten? Genauso klingt das. Hier trifft Musiknerd auf Musiknerd: es haben sich zwei gefunden.
Oder drei, denn Matthias betreibt mit seinem Bruder Christian einen Plattenladen in Offenbach. Christian kennt nicht nur alles, was jemals seit Kraftwerk und Gorgio Moroder einen Synthesizer verlassen hat – er hat es auch schon aufgelegt. Er ist (trotz der Tatsache, dass die meisten Platten online verkauft werden) das Role Model eines Plattenladenbesitzers: er schaut grimmig. Immer. Ausser, wenn du in seinem Laden nach Vinyl suchst. Dann schaut er misstrauisch. Er ist selbst sein bester Kunde. Er weiß mehr über elektronische Musik als Du. Fakt!

Regeln bei Mainrecords:
1.) Stell die Platte dahin, wo du sie her hast!
2.) Vorhören geht nur laut. Soll doch jeder im Laden mitbekommen, was du für Zeugs auflegst.
3.) Du hast Datteln gegessen? Da ist die Tür!
4.) Hast du die Platten zurückgestellt?

Wir kommen schnell zur ersten und wichtigsten Erkenntnis des Wochenendes: Die beiden sind sehr, sehr korrekte Typen. Haben genauso einen an der Klatsche wie wir und sind mehr als sympathisch. Schnell lachen wir lauter als die Beats aus der Anlage drücken.
Wir verbringen Stunde um Stunde bei mainrecords. Alex würde hier am liebsten einziehen, ich sehe es ihm an. Als auch noch Matze aus Karlsruhe eintrifft, ein alter Freund von ihm und ebenso vinylgeil, mache ich mich aus dem Staub (ich glaube, sie bemerken es nicht einmal). Ich ziehe durch die alte Hood von Hafti. Offenbach am Main. 120.000 Einwohner, im Krieg großfächig zerstört und ziemlich unattraktiv mit Plattenbauten bis in die Innenstadt wieder aufgebaut. Offenbach hat den höchsten Ausländeranteil aller deutschen Städte. Hier tummeln sich über 150 Nationalitäten. Das schlägt sich im Stadtbild ähnlich deutlich nieder wie in den Texten von Haftbefehl, der wild Kroatisch, Arabisch, Kanackisch und Kartofflisch mischt. Ich weiß bei solch einem Angebot gar nicht, was ich zuerst kosten soll und entscheide mich für Ćevapčići gefolgt von portugiesischem Gebäck und türkischen Baklava (sooo gut). Während ich esse, höre ich mindestens vier verschiedene Sprachen und sehe, wie ein Fußtrupp knabenhafter Mormonen einen Araber bekehren möchte. Der lacht bestimmt heute noch.

Zurück im Laden, wo man Christian langsam den inneren Kampf zwischen „Ich könnte ja mal wieder was einnehmen“ und: „Die Platte, die du da hast, würde sich auch gut in meiner Sammlung machen“, ansieht. Nach den ca. sechs Stunden „Digging“ (das Suchen nach Platten im Laden, Anmerk.d.Ü.) verabreden wir uns im kleinen Studio des Labels um weiter elektronische Musik zu hören, über elektronische Musik zu reden und elektronische Musik für den heutigen Abend aus der brüderlichen Privatsammlung herauszusuchen. Um diese dann aufzulegen, versteht sich. Zuerst geht es zum Aufwärmen in eine stylisch-dunkle Kneipe in Frankfurt, in der selbst ein Kerzenlicht zu hell scheint. Alex und Matt lassen es ruhig angehen und spielen sich gegenseitig entspannten und minimalen House vor bevor sie an Candy übergeben. Ich weiß nicht, wie sie die richtige Platte im Koffer finden, geschweige denn sich selbst.
„Mann, ist das dunkel hier! Für Fotos bräuchte ich eine tierisch hohe ISO (das ist scheiße wegen dem Bildrauschen!) und Belichtungszeiten, die jede Bewegung so wischi-waschi machen. Von der geringen Schärfentiefe bei einer weit offenen Blende um 2 mal ganz abgesehen.“
Es hört mir keiner zu.
Nach Mitternacht geht es zum eigentlichen Ort des Geschehens. Das Hafen 2 in Offenbach. Wir werden schon vorgewarnt, dass die letzten Parties nicht so richtig gut liefen. Und so scheint es auch heute. In einem modernen, blechernen Kulturzentrum versammelt sich eine Handvoll Technojünger um eine Bar und zaghaft auch auf der Tanzfläche. Egal! Die Anlage macht den Eindruck, ungefähr sechsmal so laut sein zu können als es der Bund deutscher Ohrenärzte für zulässig erachtet. Die Platten sind frisch und ein paar Szenegrößen sind ja schließlich auch da. Also schließt der Tag, wie er begonnen hat: ein paar Musiknerds spielen sich gegenseitig Platten vor. Es ist ein wirklich würdiger Abschluss für diesen Ausflug. Hier ging es von Anfang bis zum Ende und auch mittendrin nur um die Musik. Und auch wenn ich mich mit Techno ein bisschen auskenne (ich bin schließlich im ländlichen Brandenburg groß geworden) und weiß, wer der „Baba“ ist, bin ich hier nur ahnungsloser Zaungast. Das war Alex´ Wochenende und während ich diesen Satz schreibe, schlummert er schon selig hier im Abteil wie ein Vierjähriger nach einem Tag im Ikea-Böälleparadies. Im Gepäck hat er 21 Platten und zwei Freundschaften mehr als auf der Hinfahrt.

Offenbach, wir kommen wieder!

(aber zuerst müssen wir Matt noch Cottbus zeigen)
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