Kunst & Kultur Malerei

Verstörende Bilder eines verfolgten Geistes

1. April 2016 |

Die aktuelle Ausstellung in der Galerie Fango ist eine der größten Kooperationen, die je zwischen dem betreibenden Kulturforum Cottbus e.V. und einem anderen Kunsthaus, in diesem Falle das Kunsthaus Dahlem in Berlin, zustande kamen. Ich habe mit dem Vorstandsvorsitzenden Jan Gerlach über die Joachim Gutsche – Ausstellung „Gebrochene Identität“ gesprochen.

Update: Am Freitag, den 15. April wird der Katalog zur Ausstellung veröffentlicht. Anlässlich wird es eine Lesung des Chemnitzer Journalisten und Schriftstellers Matthias Zwarg geben.

cdwl: Vielleicht kannst du den Lesern etwas zur Person Joachim Gutsche erzählen?

Jan Gerlach:
Ja, gern. In der Galerie Fango stellen wir normalerweise eher jüngere Künstler aus, wie es auch in unserer Satzung steht. In diesem speziellen Fall ist es ein sehr alter Herr. Und er ist leider auch 2012 bereits verstorben. Im Alter von 86 Jahren. Er hat in seinem doch recht langen Leben ein großes Stück deutscher Geschichte erlebt und erlitten und dann auch künstlerisch verarbeitet.

cdwl: Das Leiden dürfte also ein Kernpunkt seines Schaffens gewesen sein, oder?

Jan Gerlach:
Das würde sich nicht unbedingt aus seinem Gesamtwerk herauslesen lassen, aber wir haben uns für die Ausstellung bei der Auswahl der Bilder auf diesen Aspekt konzentriert. Und zwar sind das alles Bilder, die davon geprägt sind, dass Gutsche sich verfolgt fühlte. Von Geheimdiensten auf Ost- und Westseite.

cdwl: Gab es denn einen stichhaltigen Anlass für ihn, so etwas zu glauben oder kann man ihn mehr mit den heutigen Aluhut-Trägern und Verschwörungstheoretikern vergleichen?

Jan Gerlach:
Joachim Gutsche hat in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er selbst als Soldat auf einen U-Boot gedient hatte und in Kriegsgefangenschaft geriet, ein Kunststudium in Westdeutschland begonnen und ist dann in eine sehr merkwürdige Sache hineingeraten. Im Nachhinein lässt es sich allerdings nicht mehr ganz genau rekonstruieren, was dort genau passiert ist. Er ist zumindest wegen Wirtschaftsvergehen von der Stasi festgenommen worden: „Hehlerei von optischen Gütern“ hieß es wohl damals. Das war allerdings nur ein Fernglas und eine Kamera. Man kann eigentlich nur annehmen, dass er für einen Spion gehalten wurde. Was aber nun der wirkliche Anlass für seine Verhaftung war, das weiß man bis heute nicht. Und es ist anzunehmen, dass auch er selbst es bis zum Schluss nicht wusste. Nach seinen Aufzeichnungen war er in dieser Hinsicht mehr als verwirrt. Ihm wurde auch nie etwas von den Staatsorganen gesagt. Wahrscheinlich ist, dass er einfach zwischen die Mühlen geriet, wie es so schön heißt. Fakt ist: er wurde zu 26 Monaten Zwangsarbeit verurteilt und dann, als er diese Zeit abgesessen hatte, auch nicht mehr in die DDR gelassen. Er lebte dann in Westdeutschland, wo er dann arbeitete aber weiterhin im Dunkeln über den eigentlichen Grund seiner Verhaftung gelassen wurde. Das führte bei ihm zu einer immensen Unsicherheit, was auch in seinen Bildern deutlich zu sehen ist.

Felix Häsler & Jan Gerlach

Felix Häsler & Jan Gerlach

cdwl: Die Bilder scheinen tatsächlich auch etwas Wahnhaftes zu haben…

Jan Gerlach:
Du sagtest eingangs schon etwas zu den Aluhut-Trägern. Das ist vielleicht das falsche Bild. Joachim Gutsche war in keinster Weise wahnsinnig oder wahnhaft. Er war eher ein sehr sortierter und ordentlicher Mensch der das alles auch sehr ordentlich protokolliert hat und eigentlich ein normales Leben führte. Seine Tochter war bei der Vernissage zu Gast und sie betonte das noch einmal. Gutsche war auch ein treusorgender und guter Vater, der seiner Tochter zum Beispiel das Mittag kochte. Ein beschauliches Leben. Er hat bloß Schwierigkeiten gehabt, als Künstler ein offenes und gesellschafts-anschlussfähiges Leben zu führen.

cdwl: War er zeitlebens ein angesehener Künstler?

Jan Gerlach:
Überhaupt nicht. Tatsächlich sind wir mit dem Kulturforum Cottbus und dem Kunsthaus Dahlem mit die ersten Häuser, die eine Gutsche-Ausstellung organisieren. Wir wissen nur, dass es einige geplante Ausstellungen zu Gutsches Lebenszeit gab, die er aber kurz vor der Vernissage absagte. Es gab einige Flugblatt-Aktionen von ihm zu anderen Ausstellungen, aber so richtig bekannt wurde er als Künstler nie. Er wollte das aber auch gar nicht.

cdwl: Also ist es wirklich ähnlich wie bei Vivian Maier beispielsweise, dass die Arbeiten tatsächlich erst nach dem Ableben des Künstlers im Atelier, im privaten Archiv gefunden wurden?

Jan Gerlach:
Genau. Die Tochter ist in diesem Prozess auf den Nachlassverwalter Felix Hasler gestoßen, welchen wir im letzten Jahr ebenfalls kennenlernen durften- übrigens auf einer Veranstaltung, wo es um Künstlernachlässe ging. Man muss wissen, dass auch wir uns als Verein mit einer ähnlichen, uns sehr nahen Geschichte befasst haben. Uns war es also sehr wichtig, diese Arbeiten, diese Künstler einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Herr Hasler vermittelte damals zwischen den nun beteiligten Parteien.

cdwl: Faszinierend finde ich an dieser Geschichte das Timing. Gerade heute mit einem vermeintlichen Erstarken der Verschwörungstheorien und der allgemeinen Unsicherheit über die Beweggründe, Absichten und Methoden von „Denen dort oben“ oder einfach nur „Sie“.

Jan Gerlach:
Ja, das ist tatsächlich ein sehr aktuelles Thema. Gerade in dem Bezug zur heutigen Zeit. Einerseits zu der Paranoia, die viele entwickeln und darüber Verschwörungstheorien austauschen. Andererseits ist es auch die Hintergrundgeschichte der Arbeiten, die fasziniert. Wie schnell kann man denn in eine solche Situation geraten, mit der man eigentlich nichts zu tun haben möchte. Auch solch eine Frage kann man sich heute stellen. Wie viel ist Einbildung? Solch eine Frage kann einen schon ein Stück weit verrückt machen und dafür ist Gutsche ein hervorragendes Beispiel. Es ist eben ken Phänomen der Neuzeit. Solche Sachen sind schon immer Thema gewesen seitdem es Geheimdienste gibt und es keine vollkommene Transparenz gibt. Man kann sich eben als Bürger nicht sicher sein, wie frei man ist. Das war damals in diesem so genannten Unrechtsstaat nicht der Fall und das ist es heute vielleicht auch nicht. Man braucht bloß die Datensammelwut und die digitale Spionage betrachten. Solche Fragen werden sich einige Leute stellen und darüber auch eine gewisse Paranoia entwickeln.

cdwl: Kommen wir mal noch kurz auf die Kooperation mit dem Kunsthaus Dahlem zu sprechen. Es ist ja schon fast untypisch für die Galerie Fango oder den Kulturforum Cottbus e.V., der sich ja eher als subkulturelles Sprachroh sieht, als ein Knotenpunkt der Subkultur. Wie kam es zur Kooperation mit diesem Haus, das sich der deutschen Nachkriegskunst verschrieben hat?

Jan Gerlach:
Das haben wir Felix Hasler zu verdanken, der bereits mit dem Kunsthaus Dahlem Vorgespräche zu Ausstellungen geführt hatte. Und wie es der Zufall wollte, haben wir dann beschlossen, gleich zwei Ausstellungen zu organisieren. Das waren von Anfang an sehr fruchtbare Gespräche. So kam es dann auch zur Idee, dass wir in Cottbus uns eher auf den Aspekt des auf die Politik ausgerichteten Schaffens von Joachim Gutsche konzentrieren. Das Kunsthaus legt somit eher den Fokus auf den Malstil Gutsches, auf seine Position in der Nachkriegsmoderne und seiner Verbindung zu anderen Künstlern. Das ist für uns als kleine Galerie schon sehr toll, solch einen großen Kooperationspartner zu haben. Es ist im Übrigen auch ein Katalog in dieser Zusammenarbeit entstanden. So hat beispielsweise Dorothea Schöne, künstlerische Leiterin des Hauses einen Text beigesteuert. Insgesamt eine runde Sache.

cdwl: Und rollt diese runde Sache auch weiter?

Jan Gerlach:
Wir haben zwar darüber noch nicht gesprochen, sind aber sehr offen, was das betrifft. Das muss man im Einzelfall betrachten. Ich hoffe auf jeden Fall, dass uns diese Erfahrungen jetzt auch dazu führen werden, mit anderen Häusern Kooperationen anzustreben. Ich denke, das ist für uns eine tolle Gelegenheit zu zeigen, dass es auch eine Zusammenarbeit geben kann mit einem Verein, der es sonst immer sehr schwer hatte, ernst genommen zu werden.

Die Ausstellung Joachim Gutsche – „Gebrochene Identität“ ist noch bis zum 28. April in der Galerie Fango zu den Öffnungszeiten der ehrenamtlich betriebenen Galerie zu sehen:
Mittwoch bis Samstag je 20 – ??Uhr